Die Anerkennung der Rechte der Natur: Ein globaler Paradigmenwechsel

von Pranom Somwong, Protection International, Thailand

Seit Tausenden von Jahren halten indigene und lokale Gemeinschaften weltweit Überlieferungen und Traditionen aufrecht, die das Zusammenleben von Mensch und Natur in Einklang bringen. Über Jahrhunderte hinweg betrachteten sich Frauen, indigene und lokale Gemeinschaften als Hüterinnen der Natur, denen das Wohlergehen der Natur anvertraut war. Diese Traditionen wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben, um die Umwelt zu schützen und ihr Überleben zu sichern.

    Mensch-Natur-Beziehungen: Der Übergang von Traditionen zu Gesetzen

    Der Übergang von Gewohnheitsrecht zu modernen Rechtssystemen stellt eine tiefgreifende Entwicklung in unserer Beziehung zur Natur dar. Mit dem Beginn des Kapitalismus und der Industrialisierung wurden Menschen von Hüter:innen mit Fürsorgepflichten zu Eigentümer:innen mit dem Recht, die Umwelt zu kontrollieren, auszubeuten und manchmal sogar zu schädigen. Im Zuge dieses Wandels wurden uralte Überlieferungen durch moderne Gesetze ersetzt, die die Vorstellung von der Natur als Eigentum aufrechterhalten.

    Heute setzt sich eine wachsende Bewegung für die Anerkennung von "Rechten der Natur" ein, was einen Paradigmenwechsel im Umweltschutz bedeutet. Das Konzept der "Rechte der (Mutter) Natur" ist mehr als nur ein Begriff; es verkörpert das Bestreben, uralte Weisheiten wieder in den modernen Rechtsrahmen zu integrieren. Die "Rechte der Natur" sind eine Möglichkeit, der Natur rechtliches Gehör zu verschaffen, sie zur Klägerin werden zu lassen und ihr das Recht auf Wiedergutmachung zu gewähren.

    Dieser Ansatz weicht von der derzeitigen konventionellen Sichtweise ab, indem er anerkennt, dass die menschlichen Bedürfnisse nicht im Mittelpunkt stehen, sondern dass Menschen ein integraler Bestandteil der Natur sind.

    Er hebt den inhärenten Wert allen Lebens hervor und unterstreicht die wechselseitigen Beziehungen, die unsere Umweltbeziehungen kennzeichnet.

    Internationale Rahmen: Die Entwicklung des Umweltrechts

    Auf der internationalen Bühne hat die Anerkennung der Rechte der Natur große Fortschritte gemacht. Im Jahr 1982 wurde in der World Charter for Nature der einzigartige Wert jeder Lebensform betont, unabhängig von ihrem Wert für den Menschen. Diese bahnbrechende Erklärung legte den Grundstein für spätere Entwicklungen, darunter die Universal Declaration for the Rights of Mother Earth(UNDMRE) im Jahr 2010. Die UN-Umweltversammlung im Jahr 2014 hat die Bedeutung der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Umweltbereich weiter unterstrichen.

    Während diese internationalen Mechanismen die Notwendigkeit des Umweltschutzes hervorheben, gewähren sie der Natur keine Rechtsansprüche gegen Ausbeutung. Marktlogiken und das Menschenrecht auf Entwicklung stehen oft im Vordergrund, obwohl viele Aktivitäten, die als "Entwicklung" definiert werden, für Mensch und Umwelt verheerend sind.

    Wegweisende Beispiele für Rechte der Natur im Recht

    Mehrere Länder haben konkrete Schritte zur Anerkennung der Rechte der Natur unternommen. Ecuador war 2008 das erste Land der Welt, das der Natur in seiner Verfassung solche Rechte einräumte und ihr das Recht auf Existenz sowie auf die Regeneration ihrer Lebenszyklen und Strukturen zugestand. Außerdem kann jeder, unabhängig von seiner Verbindung zu einem bestimmten Teil der Natur, vor Gericht gehen, um ihn zu schützen. In Bolivien wurde 2010 das "Gesetz über die Rechte der Mutter Erde" eingeführt, in dem sieben grundlegende Rechte der Natur anerkannt werden. In Uganda räumt das nationale Umweltgesetz von 2019 der Natur das Recht ein, zu existieren, zu bestehen, ihre Lebenszyklen und Strukturen zu erhalten und zu regenerieren. Neuseeland hingegen verleiht einzelnen Einheiten juristischen Personenstatus, wie etwa im Fall des Te Urewera Nationalparks und des Whanganui River.

    Herausforderungen und Debatten

    Trotz der rechtlichen Anerkennung der Rechte der Natur bleiben zahlreiche Herausforderungen bestehen. In Ländern wie Ecuador und Bolivien blühen die Rohstoffindustrie und mächtige Konzerne weiter auf und bedrohen die Umwelt unter dem Deckmantel der Entwicklung, obwohl viele dieser hochgradig ausbeuterischen Aktivitäten in Wirklichkeit niemandem außer den Gewinnern des Kapitalismus zugute kommen, wie Großunternehmen, Investor:innen, korrupten Regierungsbeamt:innen und Eliten.

    Nichtsdestotrotz besteht ein echtes Dilemma, wenn es darum geht, ein Gleichgewicht zwischen menschlicher Entwicklung und der Achtung der Rechte der Natur herzustellen. Dies bleibt eine gewaltige Aufgabe für die Gerichte.

    Selbst in Ländern mit fortschrittlicheren Gesetzgebungen wie Kolumbien kann die Durchsetzung von Urteilen trotz juristischer Siege eine Herausforderung sein.

    Auf der anderen Seite besteht nach wie vor die große Herausforderung der Anerkennung: Viele Länder haben die Rechte der Natur noch nicht formell anerkannt und geben menschlichen Interessen immer noch den Vorrang vor ökologischen Erwägungen. So scheinen Länder wie Thailand oft eher geneigt zu sein, Genehmigungen für die Bergbauindustrie (z. B. Kali-Bergbau) zu erteilen, als die Rechte der Natur gesetzlich zu verankern.

    Die Gefahren, denen diejenigen ausgesetzt sind, die sich für die Rechte der Natur einsetzen, sind ein deutliches Zeichen für den weitreichenden Widerstand gegen einen solchen Wandel: Im Jahr 2022 wurden weltweit 177 Umweltaktivisten getötet, die meisten von ihnen in Lateinamerika. In Thailand beleuchtet eine von Protection International organisierte Ausstellung und Dokumentation mit dem Titel "For Those Who Died Trying" die Geschichten von über 62 Menschenrechtsverteidiger:innen, die furchtlos die Korruption aufgedeckt, sich für faire Landrechte eingesetzt, die Umwelt vor illegaler Abholzung und Landübergriffen geschützt und sich gegen schlecht durchdachte Entwicklungsprojekte gewehrt haben.

      Weitere Debatten und Initiativen

      Neben den oben genannten Punkten bleiben viele weitere Debatten ungelöst: Zum Beispiel, wenn es um die Vormundschaft und Vertretung der Natur in Rechtsfällen geht, um eine eindeutige Sprache in den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Rechte der Natur, sowie um die offensichtliche Notwendigkeit, widersprüchliche Rechte zu harmonisieren - vor allem, wenn menschliche Entwicklung und Umweltschutz miteinander kollidieren. Darüber hinaus bleibt offen, welche Rolle die Natur in internationaler Entwicklung spielen kann, und wie die Wirksamkeit der Rechte der Natur innerhalb der bestehenden zentralisierten politischen und rechtlichen Systeme garantiert werden kann.

      Die Frage um den Status einer juristischen Person und die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, gewinnt weltweit in den Rechtswissenschaften an Bedeutung. Interessant ist, dass dies vor allem in Ländern geschieht, in denen indigene und lokale Bevölkerungen noch immer fürsorgliche Beziehungen zur Natur haben und eng mit Gewohnheitsrechten und Traditionen verbunden sind. Diese Bevölkerungen haben darüber hinaus sehr unmittelbare Erfahrungen mit Umweltzerstörung und Klimawandel.

      Länder, die bei der Verankerung von Naturrechten in ihren Gesetzen und Verfassungen Pionierarbeit leisten, erarbeiten diese Konzepte auch als Beispiel für andere Länder.

      Fazit

      Die weltweite Anerkennung der Rechte der Natur stellt einen bedeutenden Paradigmenwechsel in der Art und Weise dar, wie wir die Umwelt wahrnehmen und mit ihr umgehen. Sie ist ein entscheidender Schritt zur Wiederherstellung der harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur, die unsere Vorfahren jahrhundertelang praktiziert haben. Es muss unbedingt anerkannt werden, dass wir trotz bemerkenswerter Fortschritte immer noch vor großen Herausforderungen an verschiedenen Seiten stehen – insbesondere in einer Periode politischer Instabilität, wirtschaftlicher Schwierigkeiten, Umweltzerstörung und Dominanz autoritärer Regime in vielen Teilen der Welt.

      Das Gleichgewicht zwischen menschlicher Entwicklung und dem Schutz der Umwelt ist ein wichtiges und dringendes Anliegen. Nun, da die Welt mit der dringenden Notwendigkeit konfrontiert ist, die Klimakrise und die ökologischen Katastrophen zu bewältigen, kann das Konzept der Gewährung von Rechten an der Natur einen gangbaren Weg in eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft darstellen.

       

      Pranom Somwong (Bee) ist eine feministische Anwältin für Protection International Thailand. Sie engagiert sich für von jungen Aktivist:innen und die Stärkung von Frauen, die sich für Land- und Klimagerechtigkeit einsetzen. Sie ist eine der Mitbegründerinnen des Community Women Human Rights Defenders Collective in Thailand und arbeitet mit Frauenwiderstandsbewegungen in Myanmar zusammen. In ihrer kollektiven Arbeit setzt sich Bee für eine Entlohnung von Sorgearbeit ein, um die Bewegung gegen Umweltzerstörung, Landraub durch Unternehmen und Klimagerechtigkeit zu stärken.

      Kontakt: psomwong[at]protectioninternational[dot]org

      Aus dem Englischen übersetzt von Imke Horstmannshoff.

       

      Links & Literatur