Rechte der Natur in Ecuador

von Andreas Gutmann

„Frösche gewinnen Gerichtsverfahren“: Mit dieser Schlagzeile wurde 2020 über einen Gerichtsprozess in Ecuador berichtet. In diesem Fall hatte die Biologin Andrea Terán Valdez im Namen zweier Froscharten gegen ein Bergbauprojekt geklagt, das deren Lebensraum zu zerstören drohte. Was zunächst niedlich klingt, zeigt etwas, was in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzen ist: Rechte der Natur sind im ecuadorianischen Gerichtsalltag angekommen und führen dazu, dass die Natur vor Gericht Recht bekommen kann.

Eine neue Verfassung entsteht

Der ecuadorianische Fall zeigt nicht nur, dass Rechte der Natur funktionieren, sondern auch, dass sie einen langen Atem erfordern. Schon der erste Schritt dieses Weges war keinesfalls einfach. Im Jahr 2007 wurde in Ecuador eine Asamblea Nacional Constituyente (verfassungsgebende Nationalversammlung) einberufen, deren Aufgabe es war, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Angesichts einer tiefen politischen und ökonomischen Krise sollte diese den Staat transformieren und zur Lösung der zahlreichen schwelenden Konflikte um den Bergbau beitragen.

Die verfassungsgebende Versammlung war äußerst divers besetzt. Viele ihrer Mitglieder stammten aus der Indigenen-Bewegung oder anderen sozialen Bewegungen. Außerdem empfing die Versammlung eine Vielzahl an Besucher:innen aus der Zivilgesellschaft, die während der Sitzungen ihre Anliegen vorbrachten.

Im Verlauf des Verfassungsprozesses versammelten sich verschiedene Akteur:innen hinter der Idee, der Natur Rechte zu geben. So waren etwa indigene Vertreter:innen der Ansicht, dass das Konzept Ausdruck einer Beziehung zur Natur ist, die von ihnen gelebt wird. Naturschützer:innen erhofften sich, auf diesem Wege leichter gegen Umweltverschmutzungen klagen zu können. Natürlich gab es auch Gegenstimmen, die etwa vor einer Einschränkung menschlicher Freiheit warnten, oder Rechte der Natur für schlicht unmöglich hielten. Schlussendlich setzte sich die Idee durch. 2008 trat die neue Verfassung in Kraft, die in Artikel 71 der „Natur oder Pacha Mama“ verschiedene Rechte, etwa das Recht auf Respektierung ihrer Existenz einräumte.

Nachdem die Verfassung in Kraft getreten war, passierte erst einmal wenig. In den ersten Jahren gab es nur vereinzelte Fälle zu Rechten der Natur. Diese anfängliche zögerliche Umsetzung und die vereinzelten Tiefschläge führten dazu, dass die ecuadorianischen Rechte der Natur als weitgehend wirkungslos bezeichnet wurden.

Bei aller berechtigten Kritik an den Startschwierigkeiten der Rechte der Natur in Ecuador darf jedoch nicht vergessen werden, dass diese eine enorme Herausforderung an das Rechtssystem darstellen.

Es handelte sich um ein völlig neues juristisches Instrument, mit dem zu dieser Zeit keinerlei Erfahrungen vorhanden waren.

Richter:innen, Rechtsanwält:innen, Verwaltungsbeamt:innen, aber auch Umweltschutzvereinigungen mussten sich erst mit dem Konzept vertraut machen. Solche rechtlichen Lernprozesse brauchen Zeit.

Wie lässt sich der Natur Recht geben?“

Die Gerichte hatten in Bezug auf die neuen Rechte der Natur zahlreiche Fragen zu klären. Eine wichtige Frage ist dabei bereits, was eigentlich diese Natur ist, die wir in der ecuadorianischen Verfassung finden.

Da die ecuadorianische Verfassung die gesamte Natur einbezieht, ohne genauer zu definieren, was darunter zu verstehen ist, müssen die Gerichte im Einzelfall untersuchen, was mit Natur im konkreten Fall gemeint ist: Sie stehen daher immer wieder vor der Aufgabe, zu untersuchen und festzusetzen, wie ein konkretes Ökosystem, dessen Rechte geltend gemacht werden, genau aussieht.

Nur, wenn sie wissen, wie der Teil der Natur, um den es geht, strukturiert ist und funktioniert, können sie bestimmen, wie dessen Rechte zu schützen sind.

Beispielhaft lässt sich dies am Falls um Los Cedros erklären, einem Nebelwald im Nordwesten Ecuadors, in dem ein Bergbauprojekt umgesetzt werden sollte. Im Verfahren untersuchte und beschrieb das Verfassungsgericht den betreffenden Nebelwald und die dort lebenden Tiere und Pflanzen, Wasserkreisläufe und klimatischen Bedingungen ausführlich und kam zu dem Ergebnis, dass es sich um ein fragiles Ökosystem handelte, das durch das geplante Bergbauprojekt gefährdet war.

Um ein ganz anderes Ökosystem ging es im Fall des RíoMonjas. Dieser Fluss fließt durch die Hauptstadt Quito und ist stark verschmutzt. Die Tatsache, dass er sich im von Menschen geschaffenen Umfeld der Stadt befindet, führt dem Verfassungsgericht zufolge aber nicht dazu, dass der Río Monjas seine Eigenschaft als Natur verliert. Das Gericht betonte stattdessen, dass der Monjas-Fluss mit anderen Ökosystemen in Verbindung steht. Wird er in Quito verschmutzt, würde diese Verschmutzung also weitergetragen.

Die Natur oder Pacha Mama

Dass die ecuadorianischen Rechte der Natur verschiedene Vorstellungen von der menschlichen Umwelt einbeziehen, ergibt sich bereits unmittelbar aus der zentralen Bestimmung der Verfassung in Artikel 71:

„Die Natur oder Pacha Mama hat das Recht“, steht hier zu lesen.

Pacha Mama ist ein Begriff aus der indigenen Sprache Kichwa, die von verschiedenen indigenen Gemeinschaften in den Anden und Teilen des Amazonas gesprochen wird. Viele der indigenen Völker, die den Begriff der Pacha Mama verwenden, gehen von einem Weltbild aus, in dem es keine Trennung zwischen Mensch und Natur gibt. Pacha wird als Kosmos übersetzt, wobei dieser Kosmos den Menschen und die ganze mehr-als-menschliche Umwelt umfasst. Entscheidend ist, dass die vielfältigen Bestandteile des Kosmos – Tiere, Menschen, Pflanzen, Steine etc. – nicht isoliert nebeneinander existieren. Vielmehr ist alles miteinander verbunden; so bestehen etwa auch vielfältige Beziehungen zwischen den Menschen und ihrer mehr-als-menschlichen Umwelt. Hieraus folge eine gewisse Verantwortung der Menschen gegenüber dieser. Es bedeutet aber auch, dass eine Schädigung der Natur zugleich eine Schädigung des Menschen bedeutet.

Da der ganze Kosmos ein eng verbundenes Netzwerk darstellt, zieht jede Verletzung von einzelnen Bestandteilen zwangsläufig auch andere in Mitleidenschaft.

Die ecuadorianischen Rechte der Natur vereinen also verschiedene Einflüsse. Neben den erwähnten indigenen Vorstellungen einer Pacha Mama ist berücksichtigen sie auch westliche naturwissenschaftliche Sichtweisen. Indem sie das Recht für indigenes Denken öffnen, können sie außerdem als Schritt in Richtung einer Dekolonialisierung des Rechts gelten.

Wer spricht für die Natur?

Eine weitere Frage ist, wer für die Natur sprechen und sie vor Gericht vertreten darf.

Nach Artikel 71 Absatz 2 der ecuadorianischen Verfassung kann jede beliebige Person die Rechte der Natur geltend machen.

Andere Länder gehen andere Wege. In Kolumbien gibt es zahlreiche Gerichtsurteile, die einzelnen Bestandteilen der Natur Rechte einräumen. Besonders bekannt ist der Fall des Rio Atrato, der im Jahr 2018 vom kolumbianischen Verfassungsgericht zur Rechtsperson erklärt wurde. Hier hat das Gericht eine Kommission, die sogenannten Hüter:innen des Flusses, eingesetzt, die gemeinschaftlich für den Atrato sprechen. Eine solche gemeinschaftliche Vertretung hat den Vorteil, dass sie verhindern kann, dass einzelne Menschen ihre Interessen als diejenigen der Natur verkaufen.

Die ecuadorianischen Gerichte bemühen sich häufig, möglichst viele Menschen zu Wort kommen zu lassen. Dies wird vor allem im Fall des Los-Cedros-Nebelwaldes deutlich. Während einer langen Verhandlung hörte sich das Verfassungsgericht die Meinungen verschiedenster Beteiligter an. Nicht nur Anwohner:innen oder Biolog:innen kamen zu Wort, sondern auch Vertreter:innen des Bergbauprojekts. Dem liegt die Idee zugrunde, dass es keine objektiv richtige Sicht auf die Natur gibt. Unterschiedliche Menschen nehmen ein Ökosystem auf unterschiedliche Weise wahr und an dessen Prozessen teil. Indem es möglichst viele Stimmen anhört, demokratisiert das Verfassungsgericht die Vertretung der Natur. Damit zeigt es auch, dass die verfassungsrechtliche Anerkennung von Rechten der Natur nur ein erster Schritt sein kann, dem viele weitere folgen müssen.

Auch nach der Anerkennung braucht es weiterhin Menschen, die sich für diese Rechte starkmachen, innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals.

Dieser Text beruht auf einem Auszug aus: Jenny García Ruales/Andreas Gutmann, Rechte der Natur in Lateinamerika, in: Matthias Kramm (Hrsg.), Rechte für Flüsse, Berge und Wälder: Eine neue Perspektive für den Naturschutz?, München, Oekom, 2023, S. 28-48.

 

Links & Literatur

  • Eva Gertz, Rechte in Verhandlung: Die Rechte der Natur in der ecuadorianischen Verfassung und ihr postkoloniales Potenzial, malmoe, 31. August 2023, abrufbar unter: www.malmoe.org/2023/08/31/rechte-in-verhandlung/
  • Alberto Acosta, Die Rechte der Natur - Für eine zivilisatorische Wende, in: Constantin von Barloewen, Manuel Rivera und Klaus Töpfer (Hrsg.), Nachhaltige Entwicklung: in einer pluralen Moderne. Lateinamerikanische Perspektiven, Berlin, Matthes & Seitz 2014, S. 286-317
  • Andreas Gutmann, Hybride Rechtssubjektivität: Die Rechte der „Natur oder Pacha Mama“ in der ecuadorianischen Verfassung von 2008, Baden-Baden, Nomos, 2021
  • Elisabeth Weydt, Die Natur hat Recht: Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen - für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur, München, Knesebeck, 2023