Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

 

Rechte der Natur

Akteur:innen & Initiativen

Die Rechte der Natur in Europa

von Cat Haas (Eco-Jurisprudence Monitor), Laura Burgers (University of Amsterdam) und Alex Putzer (Sant’Anna School of Advanced Studies) -- Dezember 2023

Die Welt befindet sich inmitten einer rechtlichen Revolution Teile der Natur werden zunehmend als Subjekte von Rechten anstelle von Objekten oder als Eigentum verstanden. Diese Bewegung, bekannt unter Namen wie "Rechte der Natur" (Rights of Nature) oder Earth Jurisprudence, hat insbesondere in Südamerika starken Einfluss.

Zu den wichtigsten Meilensteinen gehört die Anerkennung der Rechte von Pachamama (“Mutter Erde”) in der ecuadorianischen Verfassung von 2008. Auch in Nordamerika haben indigene Gemeinschaften ähnliche Initiativen ergriffen und unter anderem der Wildreissorte Manoomin und dem Fluss Magpie Rechte zugesprochen. Zu den bemerkenswerten Errungenschaften in anderen Regionen gehören der National Environment Actvon Uganda aus dem Jahr 2019, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Bangladesch von 2019, in dem die Rechte aller Flüsse des Landes anerkannt wurden, sowie historische Versöhnungsprozesse zwischen der indigenen Bevölkerung und der Regierung von Aotearoa Neuseeland, die unter Anderem zu Rechtspersönlichkeiten für den Te Urewara-Wald und den Whanganui-Fluss führten.

In Europa hatten die Verfechter:innen der Rechte der Natur bisher weniger Erfolg. Es mag nicht überraschen, dass der europäische Kontinent diesem Trend gegenüber eher skeptisch gegenübersteht – schließlich ist dies ein Kontinent, der historisch von Denkern wie René Descartes geprägt ist, welcher Tiere als bloße "Maschinen" ohne Gefühle und Innenleben betrachtete. Die europäischen philosophischen Traditionen betonen dabei oft eine strikte Trennung zwischen Menschen und dem Rest der Natur. Die Rechte der Natur widersetzen sich dieser Weltanschauung und stellen stattdessen Tiere, Pflanzen und Ökosysteme auf die gleiche Ebene wie Menschen. Eine kleine, aber stetig wachsende Zahl von europäischen Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Politiker:innen macht diese Perspektive zum Anliegen und Gegenstand ihrer Forschung. Es entsteht langsam eine neue Denkweise, die zunehmend die europäische Rechtslandschaft beeinflusst.

Der Großteil der im Folgenden präsentierten Daten stammen aus dem Eco Jurisprudence Monitor, einer digitalen Open-Access-Datenbank, die Initiativen der Rechte der Natur auf der ganzen Welt dokumentiert. Bis Dezember 2023 haben sich 44 europäische Initiativen als Teil der Bewegung qualifiziert. Wir berücksichtigen zusätzlich einige Aktivitäten, die sich noch im Anfangsstadium befinden.

Von den Rechten nichtmenschlicher Tiere zu den Rechten der Natur

Bevor über die Rechte der Natur diskutiert wurde gab es die spezifischeren Rechte von Tieren. Die "älteste" Initiative geht auf das Jahr 1988 zurück, als deutsche Aktivist:innen für die Anerkennung der Rechte von Robben in der deutschen Nordsee plädierten ("Robbenklage" → Rechte der Natur und die deutsche Zivilgesellschaft). Jahre später, im Jahr 2013, wurden die Rechte der Natur fast zeitgleich von fünf Gemeinden im Großbritannien anerkannt: Diese Soft-Law-Dokumente zieltn darauf ab, das gegenwärtige und künftige Wohlergehen lokaler – wohlgemerkt sowohl menschlicher als auch nichtmenschlicher – Gemeinschaften zu sichern. In der Falkirk-Charta wird beispielsweise das Recht auf Leben für alle Arten von Lebewesen anerkannt. In Rumänien hingegen debattierte das nationale Parlament im Jahr 2014 über die Möglichkeit, speziell die Rechtspersönlichkeit von Delfinen anzuerkennen. 2019 verfasste eine Gruppe von Rechtswissenschaftler:innen in Frankreich eine Erklärung zu den Rechten von Tieren in der sogenannten "Charta des Rechts des Lebendigen" (Charte du Droit du Vivant). Im Jahr 2022 stimmten die Bürger:innen der Schweizer Stadt Basel über die Rechte von Primaten ab. Auch wenn das Referendum von den Wähler:innen abgelehnt wurde, so reflektiert es doch ein wachsendes Bewusstsein für das Thema.

Im Hinblick auf eine breitere Bewegung kam Unterstützung auch von unerwarteter Seite. 2015 befürwortete Papst Franziskus in seiner Enzyklika das Thema explizit. In seinem päpstlichen Schreiben erklärte er, dass es ein Recht der Umwelt gibt – wohlgemerkt im Unterschied zu einem Recht auf Umwelt (letzteres wäre ein Recht für Menschen). Diese Aussage spiegelt einen sich wandelnden Zeitgeist wider, der sich seither immer weiter verstärkt. Während der Eco Jurisprudence Monitor zwischen 2016 und 2020 insgesamt sechs Europäische Initiativen erfasste, waren es allein in den letzten drei Jahren 30. Die rechtlich einschneidendste gab es 2022 mit dem Gesetz für die Rechte des Mar Menor, einer Salzwasserlagune in Südostspanien. Angesichts der vielen laufenden Initiativen und der damit verbundenen Berichterstattung wird die Bewegung in den kommenden Jahren sehr wahrscheinlich weiterhin wachsen.

Verfassungsrechtliche Entwicklungen

Acht europäische Länder – Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, die Niederlande, Portugal, Schweden und die Schweiz – haben bereits erwogen oder erwägen noch gegenwärtig Rechte der Natur auf Verfassungsebene anzuerkennen. Vier Initiativen zielen aktuell darauf ab, die Landesverfassungen deutscher Bundesländer zu ändern, wobei eine Initiative auch eine Änderung der Verfassung auf Bundesebene anstrebt. Die Bewegung in Finnland geht auf den Vorschlag einer NGO zurück. In Frankreich lehnte die Nationalversammlung 2021 eine Verfassungsänderung ab, während die Irische Citizens Assembly on Biodiversity Loss 2022 dafür stimmte, die Rechte der Natur in ihr nationales Gründungsdokument aufzunehmen. In den Niederlanden erarbeitet die Partij voor de Dieren (“Partei für die Tiere”) derzeit einen Vorschlag zur Aufnahme der Rechte der Natur in die niederländische Verfassung, und eine Reihe politischer Parteien, darunter Volt, rufen zur politischen Unterstützung von Graswurzel-Initiativen auf. Eine portugiesische Petition für die Verankerung der Rechte der Natur in deren Verfassung hat bisher nur begrenzte Unterstützung erhalten. Trotz wiederholter Bemühungen von Befürworter:innen und Vorschlägen der Miljöpartiet de Gröna (“Umweltpartei die Grünen”) in Schweden ist die Aufnahme der Rechte der Natur in die nationale Verfassung noch nicht zustande gekommen. In der Schweiz werden aktuell ähnliche Änderungen diskutiert: ein bereits eingereichter Vorschlag wird geprüft. Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass fast die Hälfte der europäischen Initiativen einen deutlich begrenzteren Geltungsbereich haben, welcher meist auf kommunaler Ebene verbleibt.

Vielfalt der Initiator:innen und Subjekte

Ähnlich wie die weltweite Bewegung für die Rechte der Natur ist auch die europäische Bewegung sehr heterogen. Erstens haben eine Vielzahl von Institutionen Vorschläge für einen Wandel hin zu Rechten der Natur angestoßen. Etwa zwei Drittel der Fälle kamen von staatlichen Stellen, einer von sechs Fällen wurde von Nichtregierungsorganisationen oder anderen Gruppen der Zivilgesellschaft mitinitiiert. Zu den Sonderfällen gehören Künstler:innenkollektive wie die niederländische Embassy of the North Sea. Es wurden außerdem mehrere Initiativen von religiösen Einrichtungen vorgelegt, darunter die bereits erwähnten Erklärung des Heiligen Stuhls, die Bildungsrichtlinie der schwedischen Kirche 2019, das Abschlussdokument der Amazonas-Synode 2019 (einer Versammlung von Kirchenführern im Vatikan, die sich mit dem Zustand des Amazonas-Regenwaldes befasste) sowie die Anerkennung des Ökozids durch den Ökumenischen Rat der Kirchen 2019.

Europäische Initiativen betreffen darüber hinaus eine Vielzahl an ‚Naturen‘. Etwa 70 % der Maßnahmen beziehen sich auf die Natur im Allgemeinen. So ist in einer Entschließung des Europäischen Parlaments von 2020 von "Rechten der Ökosysteme" die Rede, und das schwedische Sami-Parlament unterstützt die Allgemeine Erklärung über die Rechte von Mutter Erde, die ursprünglich 2010 in Bolivien verfasst und ausgerufen wurde.

Gleichzeitig konzentrieren sich einige Vorschläge auf die Anerkennung der Rechte bestimmter Teile von Natur, wobei Gewässer eine bedeutende Rolle spielen. Beispiele sind die Loire in Frankreich, die Maas in den Niederlanden, die Rhône in der Schweiz und die Flüsse Frome und Dart in Großbritannien.
Es gibt auch Initiativen für den Vätternsee in Schweden, das bereits erwähnte Mar Menor in Spanien oder die Rodden Meadow in England. Ein besonderer Fall ist Belgien, wo eine Klimaklage unter anderem im Namen von 82 Bäumen eingereicht wurde. In den Dokumenten wird sogar die Adresse der Pflanzen genannt: “die Erlen in der Rue de l'Arbre Benit in der Gemeinde Ixelles".

Stand der Um- und Durchsetzung

Abschließend ist festzustellen, dass trotz der wachsenden Zahl von Initiativen, die vom Eco Jurisprudence Monitor dokumentiert wurden, nur sehr wenige rechtlich bindend sind. Dies ist zum Teil auf den institutionellen Kontext einiger Initiativen und den nicht verbindlichen Charakter einiger Vorschläge zurückzuführen. So enthalten beispielsweise die von politischen Parteien wie der dänischen Partei Alternativet (“Die Alternative”) und der irischen Green Party vorgeschlagenen Satzungsentwürfe den Begriff "Rechte der Natur". Diese zielen aber häufig auf keine explizite Gesetzesänderung ab. Außerdem sind mehrere Initiativen absichtlich als unverbindliche Erklärungen konzipiert, wie etwa die oben erwähnten britischen Community Charters. Einen Spezialfall stellt die niederländische Gemeinde Ejisden-Margraten dar, welche im November 2023 einen Antrag auf politische Rechte der Natur annahm. Die Idee ist es hierbei, eine institutionelle Interessensvertretung zu kreieren, welche die Natur bei allen lokalen Entscheidungsprozessen repräsentiert.

Das volle Potenzial verschiedener Initiativen in ganz Europa muss sich erst noch zeigen.
Zweifellos wird die Balance aus verbindlichen und unverbindlichen Gesetzestexten die europäische Landschaft der Rechte der Natur auch in absehbarer Zukunft prägen. Die schiere Anzahl an Initiativen jedoch verspricht, dass diese Entwicklung von Dauer sein wird.


Anmerkung: Wir folgen der Auffassung verschiedener Wissenschaftler:innen und Organisationen, einschließlich des Harmony with Nature-Programms der Vereinten Nationen, die "Natur" in Großbuchstaben schreiben, um sie sprachlich als Subjekt zu etablieren (siehe z.B. Fußnote 1 des Berichts A/75/266 der Generalversammlung der Vereinten Nationen). Diese Praxis wird durch den Gegensatz zu einer kleingeschriebenen, anthropozentrischen, objektifizierenden Sichtweise auf die Natur noch unterstrichen.


Dies ist die aktualisierte Version eines Textes, der ursprünglich am 22. Februar 2022 auf dem IACL-AIDC-Blog veröffentlicht wurde: https://blog-iacl-aidc.org/nature-animals/2022/2/22/european-rights-of-nature-initiatives

 

 

Cat Haas ist die Direktorin des Eco Jurisprudence Monitor. Linkedin

Laura Burgers arbeitet als Assistenzprofessorin an der juristischen Fakultät der Universität Amsterdam, Niederlande, zu Klimaprozessen und Naturrechten.
LinkedIn.

Alex Putzer verfasste seine Dissertation zu den Rechten von urbaner Natur an der Sant'Anna School of Advanced Studies, Italien. LinkedIn.

 

Literatur & Links